#3 Die Regulationsfähigkeit bei Panikattacken erhöhen

von | Mai 22, 2024 | Traumatherapie

Wie entsteht eine Regulationsfähigkeit natürlich?

Die Regulationsfähigkeit wird bereits während der Schwangerschaft, als Baby oder Kleinkind ausgebaut. Denn in diesen Phasen können wir uns nicht selbst regulieren und sind von der Regulation durch unsere Mutter, unseren Vater oder anderen Bezugspersonen abhängig. Die Regulationsfähigkeit wird z.B. durch die Fürsorge, ein Halten des Kindes, ein Beachten des Kindes auch schon im Mutterleib oder eben auch einem Beruhigen des Kindes durch die Bezugspersonen weitergegeben. 

Was ist das Stress- / Toleranzfenster?

Ist die Bezugsperson nicht imstande das Kind zu regulieren und reagiert ständig mit Angst, dass dem Kind etwas zustoßen könnte, Wutausbrüchen, Abwesenheit oder emotionaler oder physischer Gewalt, etc. lernt ein Kind nicht sich selbst zu regulieren. Es lernt vielmehr durch das Verhalten der Eltern, dass die Welt unsicher ist und nicht, wie man sich wieder in einen ruhigen, ausgeglichenen Zustand versetzt. Vielmehr ist das Kind in Not, denn jedes Mal, wenn es Regulation durch die Eltern bräuchte, diese aber nicht bekommt, gerät es in Stress. Das Kind fällt dann in eine Übererregung und reagiert mit Kampf oder Flucht und beginnt z.B. zu schreien, sich zurückzuziehen, davonzulaufen oder sogar sich oder andere zu verletzen. Dauert die Übererregung zu lange, kippt diese irgendwann in eine Untererregung. In der Psychotherapie spricht man hier vom Totstellreflex oder auch vom Freeze. Hier kommt es zur Dissoziation oder zum Erschöpfungsschlaf. Passiert dies häufig, weitet sich die Überregung- und Untererregungsfähigkeit immer mehr ins Negative aus. Hier spricht man auch davon, dass sich das sogenannte Stress- / Toleranzfenster immer mehr ausweitet. Eine mögliche Folgestörung, in der die Auswirkungen besonders sichtbar werden, ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Welche Erkenntnisse gibt es aus der Hirnforschung?

In den letzten Jahrzehnten wurde in der Hirnforschung aufgrund verschiedener Untersuchungsmöglichkeiten deutlich, dass sich Erfahrungen im Nervensystem des Gehirns abbilden lassen. Insbesondere im limbischen System befinden sich die beiden Reizverarbeitungs- bzw. Reizspeichersysteme des Gehirns, der Hippocampus und die Amygdala. 

Der Hippocampus wird auch als „Bibliothek“ bezeichnet, ist unser explizites Gedächtnis und für die Verarbeitung und Einsortierung von Erfahrungen verantwortlich. Es hat eine enge Verbindung zum Broca-Sprachzentrum und zum Thalamus. Unter Stress kommt es zum Versagen der geordneten Speicher- und Abrufmöglichkeiten und demzufolge zu einem Kurzschluss. Dieses System ist funktionstüchtig zwischen dem 2.-3. Lebensjahr. Erst ab dem 10.-12. Lebensjahr arbeitet dieser Bereich zuverlässig. 

Die Amygdala befindet sich ebenfalls im limbischen System, ist die sogenannte „Feuerwehr“ und wird auch implizites Gedächtnis genannt. Sie speichert emotional radikale Erfahrungssplitter ungefiltert, ohne sie zu verarbeiten. Sind hier aufgrund nicht vorhandener Regulationsfähigkeit vermehrt unverarbeitete Reize gespeichert, feuert die Amygdala ständig Alarm, aufgrund bekannter, nicht verarbeiteter ähnlicher Reize. 

In der Hirnforschung wurde dies aufgrund der Untersuchung des Gehirns durch abbildende Verfahren bei Traumatisierten erkannt, da hier der Hippocampus kleiner und die Amygdala größer abgebildet waren, als bei Vergleichsuntersuchungen gut regulierter, nicht traumatisierter Personen. Es wurde somit die Fähigkeit, Reize zu verarbeiten, verkleinert und der Bereich, welcher die Alarmbereitschaft des Systems hochhält, vergrößert.

Was hat dies zur Folge?

Als erstes heißt dies, dass das Nervensystem hier gelernt hat, schneller auf sogenannte Trigger zu reagieren und weniger, diese zu verarbeiten. Wie bereits im ersten Blog erwähnt gibt es die Neuroplastizität. Und diese kommt auch hier wieder ins Spiel. Denn gerade bei Panikattacken ist dies von besonderer Bedeutung. Panik hat die gleiche Schnelligkeit, wie die Amygdala. Beide sind überschießend mit superschnellen Reaktionen. Um einer Panikattacke entgegenzuwirken, ist es somit von besonderer Bedeutung, den Speed herauszunehmen und die eingefahrenen, schnellschießenden Reaktionen im Gehirn zu unterbrechen. Denn stellen Sie sich vor, Sie wären in einem Horrorfilm und der Angreifer würde mehrere Minuten brauchen, bis er in Zeitlupe aus seinem Versteck auf Sie zukommt. Es würde bei Ihnen vermutlich nicht mal ein müdes Lächeln hervorrufen.

Wie kann eine Regulationsfähigkeit nachträglich erlernt werden?

Es gibt hier verschiedene Methoden, die Regulationsfähigkeit nachträglich auszubauen. In der Traumatherapie spricht man hier von einem sogenannten stabilisieren oder auch nachnähren. Hierzu gibt es in der Psychotherapie verschiedene Techniken. Die sogenannte Stabilisierungsphase in der Traumatherapie zielt insbesondere darauf ab, dass jemand lernt, sich selbst zu regulieren. Aus eigener Erfahrung kann es wichtig sein, dass eine fehlende Regulationsfähigkeit durch eine andere Person nachgenährt wird. Denn wenn etwas von außen in der Kindheit gefehlt hat, kann es sein, dass es auch nur von außen ins System gegeben werden kann. So als ob ein Anteil in uns, welcher in der Kindheit emotional „hängen“ geblieben ist, nachversorgt wird. 

Wie kann ich mich selbst regulieren?

Im Selbsthilfebereich sind bei einer Panikattacke z.B. folgende Maßnahmen möglich:

  • sich selbst umarmen und mit dem Oberkörper schaukeln, wie wenn eine Mutter ihr Kind im Arm hält und schaukelt
  • die Gehmeditation, also langsames, achtsames Gehen
  • mit sich selbst beruhigend sprechen (Selbstberuhigung)
  • die Situation, die gerade im Kopfkino aufgeploppt ist in extrem langsamer Zeitraffa abspielen lassen und/oder innerlich verkleinern und weit wegzoomen 
  • die darin enthaltenen Gespräche mit der Stimme von Mickey Mouse oder anderen Figuren austauschen

Wichtig ist, sich bei Panikattacken Hilfe zu holen. Denn ansonsten kann ein weiteres Phänomen hinzukommen, die Angst vor der nächsten Panikattacke, was den Kreislauf verschlimmern würde. Es sollte auch ärztlich abgeklärt werden, ob vielleicht körperliche Ursachen (Nährstoffdefizit, Schilddrüse, etc.) der Auslöser sein könnten. 

Und auch hier gilt die bekannte Devise, ein nachträgliches Erlernen einer Regulationsfähigkeit ist möglich. Die Regulationstechniken sollten dabei in ruhiger Situation immer wieder geübt werden, damit sie bei einer Panikattacke auch angewendet werden können. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, der Veränderung des Nervensystems die notwendige Zeit zu geben und dadurch den notwendigen Schritt in Richtung Gelassenheit zu tun.  

Buchempfehlungen: 

Michaela Huber: Trauma und die Folgen, 6. Auflage 2020

Prof. Dr. Luise Reddemann, Dr. Cornelia Dehner-Rau: Trauma verstehen, bearbeiten, überwinden, 6. Auflage 2020

Klaus Bernhardt: Panikattacken und andere Angststörungen loswerden

Rosa Maria Haselberger

Rosa Maria Haselberger

Heilpraktikerin für Psychotherapie

Tätig in eigener Praxis. Spezialisiert auf die Gebiete Traumatherapie, systemische Hypnotherapie und körperorientierte Psychotherapie.