#1 Neuroplastizität bei Entwicklungstraumen 

von | Mrz 22, 2024 | Traumatherapie

Was ist ein Entwicklungstrauma?

Ein Entwicklungstrauma entwickelt sich in der Kindheit. Gerade in den ersten Lebensjahren wird durch die Ausbildung des Gehirns eine sehr tiefgehende Persönlichkeitsstruktur entwickelt. Ein Kind kann sich in den ersten Jahren nicht selbst regulieren und seine Lernwelt sind die Eltern oder nahestehende Bezugspersonen. Wenn diese selbst noch in einem Trauma feststecken und dem Kind keine Stabilität geben können, können sich Traumata bereits in dieser Phase entwickeln und so über Generationen weitergegeben werden. Diese können so tiefgreifend sein, dass sie sich auf das spätere Leben sehr negativ auswirken. Ein Entwicklungstrauma entsteht nicht nur durch z.B. häusliche Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit. Auch die emotionale Abwesenheit einer Mutter/ eines Vaters oder eine so genannte Parentifizierung des Kindes durch die Eltern oder Bezugspersonen kann ein Kind bereits in der Entwicklung traumatisieren, so dass es als Erwachsener nicht frei agieren oder gesunde Grenzen setzen kann. Auch das lange Gelehrte schreien lassen eines Babys kann zu Traumatisierung führen, wenn es zu häufig passiert. Denn unser Nervensystem ist zu unserem Schutz mit einem so genannten Notausschalter ausgestattet. Das bedeutet, wenn eine Situation uns in Panik bis zur Todesangst versetzt und die Situation nicht mit Kampf oder Flucht gelöst werden kann, wird dieser aktiviert und der Körper reagiert mit dem Todstellreflex oder Ohnmacht. In der Natur ist dies, auch für Tiere, ein natürlicher Überlebensmechanismus. Wird dieser Mechanismus in der Kindheit jedoch bereits zu häufig bedient und nicht, wie vor allem noch in der Tierwelt üblich, wieder aus dem System geschüttelt, bleibt er in den Zellen als negativ gespeicherte Erfahrung hängen. Erlebt man bereits in der Kindheit häufig Ohnmacht oder ein Ausgeliefert sein, Ablehnung, emotionalen Missbrauch, Streit, etc, ist die Gefahr, dass ein Entwicklungstrauma entsteht, hoch. 

Was bedeutet Neuroplastizität? 

Hierbei handelt es sich um die Fähigkeit des Gehirns alte Nervenbahnen wieder schwächer werden zu lassen und neue Nervenbahnen auszubauen. Frei nach dem Motto: Don’t use it, loose it. Im Nervensystem des Gehirns werden Nervenbahnen, wie ein Straßennetz unterschiedlich dick, bereits in der frühen Kindheit angelegt. Hier bildet sich wie bereits erläutert die Persönlichkeit und auch tief verankert das Verhalten aus, d.h. unser Gehirn ist fähig Gewohnheiten und Überzeugungen auszubilden, von denen es nicht so leicht ist, wieder loszulassen. Um neue Wege im Leben einzuschlagen, ist es somit wichtig, eine Veränderung aufgebaut auf zwei Säulen anzustreben. Zum einen eine Neuausrichtung, ein neues Ziel, einen neuen Fokus im Leben zu kreieren. Etwas, was uns zu dem Zeitpunkt der Veränderung noch nicht bekannt ist oder ungewohnt ist. In der Psychotherapie, spricht man hier auch von der Salutogenese d.h. alle Maßnahmen, die die Gesundheit fördern. Die Salutogenese dient dazu, das Nervensystem zu beruhigen und ein gesundes und mit sich selbst verbundenes Leben zu führen. Dies fördert die Aktivität unseres Parasympathikus, dem Teil unseres Nervensystems, welcher für Entspannung sorgt. 

Neuronale Verbindungen im Gehirn

Wie geht Veränderung bei Entwicklungstraumen?

Doch meist fällt es uns schwer, die alten Wege zu verlassen, weil wir aus Gewohnheit immer wieder wie magisch die alten Wege entlang gehen. Was ist also die zweite Säule, welche wichtig ist, um im Leben wirklich etwas zu verändern? Es gilt, die alten, tief verankerten Überzeugungen und Gedankenmuster herauszufinden, um sie erst einmal zu erkennen. Und hier kommt der zweite wesentliche Aspekt ins Spiel. Alte Erfahrungen müssen entkoppelt und beruhigt werden, damit unser Unterbewusstsein uns nicht ständig immer wieder in diese alten, bekannten Pfade hineinmanövriert. Wir Menschen sind also geneigt, das Gewohnte immer wieder zu wiederholen. Und wenn wir es nicht lösen, immer wieder in ähnlicher Konstellation mit verschiedenen Akteuren im Leben. Erst, wenn uns diese alten Pfade nicht immer wieder wie magisch anziehen und wir den Schmerz darin entkoppelt und integriert haben, können wir neue Wege einschlagen. 

Veränderung auf zwei Säulen

Aus meiner eigenen Erfahrung ist es wichtig, beide Säulen zu bedienen. Denn ohne das Entkoppeln alter Erfahrungen fallen wir immer wieder in den alten Schmerz zurück. Es ist wie ein Kleber, der im Unterbewusstsein verankert ist und uns daran hindert wirklich vorwärts zu gehen. 

Jedoch auch die Neuausrichtung im Leben ist wichtig, sonst sind zwar alte schmerzhafte Erfahrungen und Verhalten entkoppelt und beruhigt. Haben wir aber keine neue Ausrichtung, also ein neues Verhaltensmuster, welches uns als neuer Weg und neue weitere Verhaltensoption dient, integriert, werden bei eingefahrenen Strukturen aus der Kindheit die gelösten Traumata alleine nicht greifen. Hier wäre das Problem, dass Betroffene in alte Gewohnheiten wieder zurückfallen. Denn eine leer geschaffene Seite, welche durch einen Heilungs- und Entkopplungsprozess geschaffen wird, möchte gefüllt werden. Und bei fehlender Neuausrichtung fallen Betroffene mit Entwicklungstraumata zurück in die alte Gewohnheit, ganz einfach, weil diese bekannt ist und als Option zu Verfügung steht. Deswegen besteht, aus eigener Erfahrung, der größtmögliche Erfolg und das größtmögliche Potenzial einer Veränderung darin, die beiden Säulen parallel aufzubauen. Eine neue Gewohnheit einzuüben und somit einen neuen Fokus und eine neue Option zu kreieren: Welche Verhaltensmuster kann ich neu im Leben integrieren, um Stück für Stück ins neue Leben zu gehen? Und die alten schmerzhaften bewussten sowie unbewussten Erfahrungen zu entkoppeln und im Nervensystem zu integrieren, um das alte Verhalten loslassen zu können. Diese zwei Säulen sind meiner Meinung nach wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Psychotherapie bei Entwicklungstraumen. 

Ihre Entscheidung, Ihr Mut und Ihr dran bleiben sind der Schlüssel zum Erfolg

Nutzen Sie also die Fähigkeit der Neuroplastizität ihres Gehirns in Ihrem Leben, vor allem wenn Sie traumatisierende Erfahrungen aus der Kindheit integrieren wollen. Die Traumatherapieansätze in vielen verschiedenen Methoden sind hier besonders geeignet, Entwicklungstraumen zu behandeln. Mit psychotherapeutischer Begleitung und einem gesunden Umfeld ist Veränderung in jedem Alter möglich. Ihre Entscheidung und Ihr Mut, die Vergangenheit loszulassen sowie Ihr Leben neu zu gestalten, ist jedoch der erste Schritt und wesentliche Schlüssel zum Erfolg! Die Integration eines Entwicklungstraumas kann dann, je nach Komplexität, Wochen, Monate oder auch Jahre dauern. Da der Veränderungsprozess in vielen verschiedenen Schichten von statten geht. Haben Sie hier Geduld und besonders viel Mitgefühl für sich selbst. Hier heißt es dann dran zu bleiben, damit Ihr Erfolg auch eintritt und nicht nur eine Luftblase bleibt.

Quellen:

Michaela Huber: Trauma und die Folgen, 6. Auflage 2020

Prof. Dr. Luise Reddemann, Dr. Cornelia Dehner-Rau: Trauma verstehen, bearbeiten, überwinden, 6. Auflage 2020

Peter A. Levine: Trauma-Heilung, Das Erwachen des Tigers, 1998

Rosa Maria Haselberger

Rosa Maria Haselberger

Heilpraktikerin für Psychotherapie

Tätig in eigener Praxis. Spezialisiert auf die Gebiete Traumatherapie, systemische Hypnotherapie und körperorientierte Psychotherapie.